Dienstag, 8. Mai 2012

Kulturworte: Theater, Theater


"Theater
Theater
der Vorhang geht auf
dann wird die Bühne zur Welt.
Theater
Theater
das ist wie ein Rausch
und nur der Augenblick zählt."
Diese Zeilen des Songs „Theater“ sang Katja Ebstein 1980 beim Grand Prix Eurovision de la Chanson und erreichte damit den zweiten Platz. Jetzt fragt ihr euch sicher, was diese einleitenden Worte sollen und worauf ich hinaus will?! Letzten Freitag war ich im Residenztheater in München und habe mir das Stück „Erpressung“ von Pippo Delbono angeschaut. Modernes Theater mit lauter Musik, Tanz- und Performance-Einlagen, Sprach- und Wortspielen, mit viel nackter Haut und ohne klare Handlung, nur bloße Aneinanderreihungen von Szenen. Viele Zuschauer zeigten sich irritiert, verließen vorzeitig den Saal, der Applaus am Ende war zudem auch mehr als zaghaft. Diese Reaktionen lassen mich seit jenem Freitag nicht los und mir stellt sich die Frage: Welche Funktion hat Theater heute überhaupt noch und welche Erwartungen hat das Publikum ans Theater?

Mich hat das Stück durchaus bewegt, mitgenommen, ja es war eine regelrechte Achterbahn der Gefühle. Das Spiel mit Sprachen, Musik, Bewegungen hat mich mehr als fasziniert. Zugleich kann ich aber nicht wiedergeben, was auf der Bühne passiert ist, geschweige denn, was Inhalt und Sinn des Stückes sind. Aber muss Theater das überhaupt?

Theater übt seit jeher eine Faszination auf mich aus. Es ist direkter und präsenter als Kino, alles spielt sich direkt vor dem eigenen Auge ab, keine Grenze, nur bloße Unmittelbarkeit. Diese enorme Präsenz wurde mir erstmals 2004 bewusst, als ich Julia Jentsch als Antigone an den Münchner Kammerspielen erlebte. Ich war danach regelrecht geflasht, konnte und wollte nicht reden. Ähnliches habe ich seitdem nicht mehr erlebt, aber dieses Initiationserlebnis fachte die Theaterliebe an. Als Studentin setzte ich mich des Öfteren in Vorlesungen der Theaterwissenschaft: Der Bezug zu meinem eigenen Studienfach - Germanistik - ist natürlich unverkennbar, aber die Theaterwissenschaft zeigte mir eine andere Herangehensweise an Stoffe und nicht zuletzt waren die dort gezeigten Film- und Theaterausschnitte eine Abwechslung zu meinem Untersuchungsgegenstand, dem Text.

Die Vorlesung „Regie zwischen Sensation und Tradition – Einführung in das avancierte Gegenwartstheater“ von Prof. Dr. Andreas Englhart hat Antworten auf die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion des Theaters gesucht. Danach scheidet die „Schaubühne als moralische Anstalt“ nach Schiller aus, als spontaner Ausdruck gesellschaftlicher Vorgänge kann das Theater jedoch auch nicht mehr gelten und eine bloße Unterhaltungsfunktion ist auch nicht mehr anzunehmen. Was soll und was ist Theater? Wo bleibt der Zuschauer im Gewirr von Regisseuren, Autoren, Theaterkritikern, Feuilletons und akademischen Untersuchungen? Welcher Theatergänger kann Begriffe wie Regietheater, postdramatisches Theater oder Diskurstheater verstehen und einordnen? Woran hält sich der Zuschauer fest, wenn sich Raum, Zeit und Körper auflösen und den Zeichen keine Bedeutung mehr zugewiesen werden kann?

Vielleicht hilft hier die Antwort von René Pollesch, einem der bekanntesten Dramatiker und Regisseure des deutschsprachigen Theaters, weiter:
"Wir sollten im Theater nicht dauernd auf das Verstehen abzielen. Dadurch, dass wir uns verstehen, ist noch nichts gewonnen."
 Aus einem Interview mit Tobias Haberl im Süddeutschen Zeitung Magazin (Heft 17/2012)
Die Antwort ist gut, keine Frage, aber dennoch unbefriedigend. Der Mensch drängt immer nach Antworten, er will verstehen und begreifen. Ich muss mich wohl mit diesem Ergebnis zufrieden geben, weitere Theaterbesuche auf mich wirken lassen und Gefühle statt Gedanken walten lassen. Ich bin gespannt, was die moderne Theaterszene noch entwickeln wird und halte mich hier an das Fazit aus oben genannter Vorlesung: Momentan ist keine eindeutige Richtung im deutschen Theater auszumachen, es werden angesichts der globalen Krise soziale Fragen diskutiert, Handlung wie Erzählung scheinen auf die Bühne zurückzukehren, der Mensch als Mitmensch interessiert wieder und es wird eine neue Realität hinter dem Wust von Zeichen und Bildern gefordert.

Oder könnt ihr mir eine Antwort geben? Welche Bedeutung hat Theater? Besucht ihr selbst überhaupt noch Inszenierungen oder ist das Theater als solches bereits ein alter Hut, ein Medium der Vergangenheit? 
In einem der nächsten Posts wird eine weitere Theater-Frage diskutiert: Was geht modisch im Theater und was überhaupt nicht? Seid gespannt, ich bin es bereits auf eure Antworten! 

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